Martin Burckhardt hat ein Buch über die Philosophie der Maschine geschrieben, das uns eine neue Perspektive auf die westliche Kulturgeschichte der Maschine gibt. Nämlich als Genese einer Universalmaschine. Dabei handelt es sich nicht um ein Gestell oder schweres Gerät, sondern sie findet sich sowohl im Alphabet des antiken Griechenlands, als auch im Räderwerk des Mittelalters oder im Computer und dem Internet.
Alex und Verne hat das zum Anlass genommen, mit Martin Burckhard ein Interview über sein Buch zu führen, das man auch als Abgesang auf die Philosophie verstehen kann.
Alex & Verne: Was ist der Grund für Sie gewesen, sich mit der Maschine auseinanderzusetzen?
Martin Burckhardt: Meine Einflugschneise ins Thema war ursprünglich überaus simpel. Ich wollte verstehen, was ein Computer ist, habe aber schnell eingesehen, dass der Computer als Maschine unabschließbar ist. Man kann fragen „Wozu ist der eigentlich gut?“, aber dann nehmen die Antworten einfach kein Ende. Man kann zum Beispiel sagen, der Rechner ist zur Textverarbeitung da, für Spreadsheets oder um Dating-Aktivitäten zu koordinieren. Man kann ihn aber auch einsetzen, um die Position eines Wales zu berechnen oder wie beim Vertical Farming, den Wuchs der Pflanzen zu überwachen. Und dann war meine Frage ganz einfach: „Hat es das – diese Unabschließbarkeit der Maschine – schon einmal in der Geschichte gegeben?“

Alex & Verne: Und das war dann der Beginn der Auseinandersetzung mit der Historie der Maschine?
Martin Burckhardt: Ja, denn man begreift sehr schnell, dass das Räderwerk im Mittelalter eine ähnliche Universalmaschine wie der Computer gewesen ist. Und die Universalmaschine wiederum hat ein besonderes Charakteristikum, nämlich ihre Unabschließbarkeit. Vilém Flusser hat das einmal wunderbar ausgedrückt: „Wir entdecken, was wir erfunden haben.“ Wir stehen einer Maschine gegenüber, die, insofern sie weitere Maschinen nach ihrem Bilde entlässt, selber genetisch wird.
Gehen wir historisch in die Antike zurück, löst sich der Maschinenkörper komplett auf. Es gibt dort schon Konfigurationen, die als Maschine bezeichnet werden, aber kein in sich geschlossenes Gerät, keinen Maschinenkörper. Die älteste Maschine, die wir bei den Griechen finden können, wäre z.B. die Rhetorik oder die Götterproduktion.
Wer sich aber aus dieser Perspektive mit der Maschine beschäftigt, der muss sich mit autopoietischen Systemen beschäftigen oder mit abstrakten Begrifflichkeiten wie z.B mit einer Gesellschaftsmaschine auseinandersetzen, also all den Bereichen, in denen der Begriff der Maschine ins rein Geistige, in die Phänomenalität ausflockt. Andererseits, und das ist die zeitgemäße Perspektive, vermählt sich die Maschine mit dem biologische Substrat. Da stehen wir dann solch merkwürdigen Gebilden gegenüber wie Craig Venters „Software Driven Machines“.
Alex & Verne: Maschine bedeutet übersetzt Betrug der Natur. Kommen wir der Sache damit etwas näher?
Martin Burckhardt: Richtig, diese ursprüngliche Wortbedeutung der mechane ist die einzige Deutung, die ich wirklich ernst nehmen kann. Hier merkt man nämlich, dass etwas mit unserer begrifflichen, gerätefixierten Ordnung nicht stimmt. Wie beispielsweise kann man in diese Ordnung die alphabetische Zeichenmaschine einordnen, die es uns überhaupt erlaubt, Natur als System und reine Materie zu denken, die man wohlgemerkt von Dämonen und Naturgeistern befreit hat?
Thomas Hobbes beginnt seine Naturphilosophie mit den denkwürdigen Worten: Wir wollen die Philosophie der Natur mit der Privation beginnen, also mit einer allgemeinen Weltvernichtung. Natürlich ist das ein Trick, denn wenn man die die Elemente beisammen hat – und stoichos ist das Wort, das die alphabetischen Lettern eben so wie die Elemente bezeichnet – hat man ein Tool, mit dem man die in Einzelheiten zergliederte Welt wieder zusammensetzen kann.
Da geraten unsere Begriffe dann endgültig durcheinander. Was wir als Natur betrachten, ist eigentlich schon Betrug an der Natur, Kulturlandschaft, also Machwerk.
Alex & Verne: Also, sprechen wir nicht nur über ein schweres, festgefügtes Gerät, dessen Bild uns insbesondere seit dem 19. Jahrhundert begleitet hat?
Martin Burckhardt: Wir erleben in unserer Gegenwart, dass das vermeintlich schwere Gerät, das uns als körperliche, technische Präsenz gegenübertritt, ausflockt. Und das überall, und ohne dass wir diese Verwandlung richtig benennen könnten.
Die Maschine wird dann eher zu einer Dunkelzone. Und genau diese Dunkelheit hat mich ja zu meiner Fragestellung hingeführt. Man könnte sagen: Die Maschine explodiert. Und wir irren durch diese Rauchwolke, diese Cloud aus aufgesprengten Maschinenpartikeln. Im übrigen ist es ja ein Kennzeichen der Digitalisierung, dass Dinge notierbar und prozessierbar geworden sind, die man vormals niemals mit einer Maschine assoziiert hätte.
Jede Universalmaschine nimmt das, was die Universalmaschine vor ihr geleistet hat in sich auf.

So wie man das Räderwerk zerlegen und wieder zusammensetzen kann, beginnt man auch größere Menschenhaufen als virtuelle Automaten aufzufassen. Das schlägt sich vor allem im Kathedralenbau nieder, wo Arbeitsteilung und Spezialisierung in besonderer Weise entstanden sind.
Alex & Verne: Sie beschreiben in ihrem Buch drei prominente Universalmaschinen: Das Alphabet, das Räderwerk und den Computer. Gibt es so etwas wie eine Evolution der Universalmaschine oder muss man deren Erscheinen als disparate Phänomene wahrnehmen?
Martin Burckhardt: Es ist definitiv eine Evolution. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir das Alphabet, den alphanumerischen Code immer noch nutzen, wir lassen unsere Kinder in die Schule gehen und sie lernen zu allererst, dass A=A=A ist, dass die Buchstaben als Lautzeichen gelesen werden wollen, dass sie sich gleich bleiben und uns somit einen Idealtypus von Identität vorgeben.
Jede Universalmaschine nimmt das, was die Universalmaschine vor ihr geleistet hat in sich auf. Und zugleich geht sie, auf revolutionäre Art, über das Gegebene hinaus. Nehmen wir das Alphabet, da scheidet sich die Welt in pneuma und hyle, also in Geistform und Materie, die relativ unverbunden nebeneinanderstehen. Strenggenommen entsteht damit eine ideale, von allen Naturgeistern gereinigte Welt, die Welt der Philosophie.
Alex & Verne: Und beim Räderwerk?
Martin Burckhardt: Beim Räderwerk geht es über die abstrakte Trennung hinaus, da geht es um Kraft und Energie. Die ersten Räderwerke waren ja Mühlen, mittelalterliche Kraftwerke mithin. Man kann natürliche Energien nutzen, man hemmt die Zeit und kann auf diese Weise Energie speichern. Das übersetzt sich dann auch ins Soziale.
So wie man das Räderwerk zerlegen und wieder zusammensetzen kann, beginnt man auch größerem Menschenhaufen als virtuelle Automaten aufzufassen.Das schlägt sich vor allem im Kathedralenbau nieder, wo Arbeitsteilung und Spezialisierung in besonderer Weise entstanden sind.
Heute setzt sich die Schrift in die Dinge hinein, und zwar in dem Maße, dass man nicht mehr sagen kann, ob der Körper ein natürlich gewachsenes Gebilde darstellt oder eine Maschine – wie im Falle von Craig Venters Software Driven Machines.

Alex & Verne: Was zeichnet dann den Rechner besonders aus?
Martin Burckhardt: Der Computer markiert, als Universalmaschine, einen radikaler Bruch. Schauen wir uns einmal den Schriftbegriff an. In den Zeiten des Alphabets thronten die Lettern über der Welt, wie der Geist Gottes, der über den Wassern schwebt. Die Schrift also war das ganz andere, die reine, unvermischte Geistigkeit. Im Mittelalter redet man schon von der Schrift der Natur und bezieht die Kräfte, die Schwerkraft und die Zeitlichkeit, da mit ein. Aber wie man bei Descartes sieht, bleibt die res cogitans, die Geisteswelt, noch immer von der res extensa, der Physis, getrennt.
Heute setzt sich die Schrift in die Dinge hinge hinein, und zwar in dem Maße, dass man nicht mehr sagen kann, ob der Körper ein natürlich gewachsenes Gebilde darstellt oder eine Maschine – wie im Falle von Craig Venters Software Driven Machines, diesen programmierten Hefezellen, bei denen der Lebensprozess dem Hochfahren eines Computers gleichgesetzt wird, boot them up!
Als Regel lässt sich festhalten: Alles, was elektrisierbar ist, wird zur Schrift. Die Thetawellen Ihres Hirns, Ihr Hautwiderstand, die Geopositionsdaten des Ortes, an dem Sie sich gerade befinden. Die ganze Gesellschaft wird zum Schriftphänomen – folglich programmierbar. In der Schrift, genauer, in der Ausweitung des Schriftbegriffs haben wir das Kontinuum, von der Antike bis heute. Was unsere heutige Welt angeht, von einer elektromagnetischen Welt sprechen. Das bezieht sich eben auf alles, was sich elektrisieren lässt.
Alex & Verne: Gibt es auch Brüche in diesem Kontinuum?
Martin Burckhardt: Selbstverständlich. Und diese Brüche sind radikal. Kommt eine neue universale Maschine ins Spiel, wird die alte Welt obsolet. Das Denkens des Mittelalter, dass wesentlich auf dem Substanzbegriff der Antike beruhte, kam mit der Welt des Räderwerks und der Zentralperspektive absolut nicht mehr klar.
Diese Veränderung schlägt sich beispielsweise in der Mathematik nieder, genauer: in der Einführung der Null. Während wir heute 1 durch 2 teilen wollen und sagen, das ergibt 0.5, war das im Mittelalter nicht möglich. Da konnte man nur sagen; 1:2 verhält sich 2:4, 3:6, 4:8 bis ins Unendliche hinein. Man konnte eine Proportion nur mit einer Proportion beantworten. Mit der Zentralperspektive löst sich das auf. Da erzeugt man den mathematischen Repräsentanten 0.5, der für all die besagten Proportionen einsteht. Sie sehen, aus einem Spiel mit vier Elementen – a:b=c:d – wird eine Triangulation, a:b= c. Und heute, da brauchen Sie nur noch zwei Elemente, die binäre Ordnung der Null und der Eins.
Alex & Verne: Welche Maschine würden Sie vor dem Hintergrund der Digitalisierung denn besonders hervorheben wollen?
Martin Burckhardt: Das ist eigentlich relativ einfach zu beschreiben. Auf der Ebene der Materialität ist dies die Entdeckung der Elektrizität im 18. Jahrhundert. In dem Moment, da man die Elektrizität bemeistert und ein Zeichen von A nach B senden kann, lässt sich in Lichtgeschwindigkeit arbeiten. Man befindet sich, wie dies schon Walter Benjamins für die Fotografie gesagt hat, in einem transanthropologischen Feld. Man kann im Jenseits der eigenen Wahrnehmung, der Begrifflichkeit und der Körpergeschwindigkeit handeln. Mit der Elektrizität wird die Entfernung der Welt abgeschafft – und da ist die Telegrafie eine Art Vorreiter. Kann man sagen?
Der zweite Punkt betrifft die logische Seite. Wenn man in die Boolsche Welt hineingeht, in der man den ganzen Zeichenkosmos in Nullen und Einsen zerlegt, hat man eine meta-logische Sprache, die alle erdenklichen Zeichensysteme ineinander übersetzen und überführen kann. Ich kann beginnen, mit Äpfel und Birnen zu rechnen, mit den Positionsdaten eines Wals oder den Wischbewegungen auf einem Tinder-Profil.
Alex & Verne: Und das ist das ein Novum?
Martin Burckhardt: Absolut. Denn nun kann ich Arbeitsabläufe, hochkomplexe Prozesse jeglicher Natur, im Arbeitsspeicher ablegen. Und da dieser im Nanobereich operiert, lassen sich Unmengen speichern, in einem Maße, das vorher undenkbar gewesen ist. Der Arbeitsspeicher, wenn wir das Novum einmal metaphorisch so nennen wollen, ist ein historischer Schnitt, wirklich ein Turn in der Menschheitsentwicklung. Schauen Sie zurück. Im Neolithikum gab es Samenspeicher – und als Folge der Ackerbaurevolution legte man Silos an. An der Antike gab es Schriftspeicher, Bücher, in denen man das Wissen ablegen konnte. Im Mittelalter haben wir Räderwerke, mit denen man die Zeit speichern und voraussagen kann. Das Wissen wird sozusagen performativ – und nicht zufällig verwandelt sich die Gesellschaft zu einem großen Räderwerkautomaten, in dem jedermann auf Pünktlichkeit und das entsprechende Taktgefühl achtet.
Dieses Moment der programmierten Gesellschaft bekommt mit der Einführung des Arbeitsspeichers eine ganz neue, radikale Bedeutung. Wenn wir in das 18. Jahrhundert zurückgehen, schwebt immer noch der Geist Gottes über der Welt. Anders gesagt: Die Welt der Zeichen ist der Welt der Natur noch weitgehend entrückt. Heute jedoch sind die Zeichen in die Natur eingegangen. Wir können gar nicht mehr unterscheiden, was eine Zeichenoperation und was ein natürlicher Prozess ist.
In dieser paradoxen Form ist genau das in Craig Venters „Software Driven Machine“ präsent. Also, ein Bakterium, das rein digital hergestellt wurde und dem sinnigerweise 42 Namen, einem Copyright-Verweis und ein Link auf eine entsprechende Website beigefügt ist, ein Bakterium also, das über eine eigene Homepage verfügt.