Die Digitalisierung wird mittelfristig den Abstand zwischen Unternehmen, die diese erfolgreich auf ihr Geschäftsmodell anwenden und denjenigen die diese Chance verpassen, deutlich vergrößern. Die Digitalisierung eröffnet aber auch kleineren, schnelleren und flexibleren Unternehmen eine Chance, ganze Evolutionsstufen von Organisationen zu überspringen, an ihren Wettbewerbern vorbeizuziehen und eigene Märkte zu schaffen.

Das gilt auch für das Lieferantenmanagement oder im weiteren Sinne für das Management der Lieferkette. Dabei bleibt aber das Primat der Kommunikation, insbesondere in der fachübegreifenden Kollaboration mit den Lieferanten als Grundlage erfolgreicher Digitalisierung bestehen.

Eine radikale Rekonfiguration der Lieferketten steht bevor.

Mit neuen und mehr oder weniger reifen Technologien wie zum Beispiel das Cloud Computing oder Big Data läutet die Digitalisierung eine neue Runde in der Steuerung von Lieferketten und im Lieferantenmanagement ein. Wir fragen uns, was die Digitalisierung insbesondere für das Lieferantenmanagement bedeutet. Die wichtigste Voraussetzung für die Implementierung neuer digitaler Technologien, die das Lieferantenmanagement auf ein höheres Niveau heben sollen, ist dabei die Reife der Kommunikation des Unternehmens über die gesamte Lieferkette hinweg. Reife meint hier, wie bewusst, strukturiert und fachübergreifend der Einsatz digitaler Technologien intern und extern kommuniziert wird. Die Qualität dieser Kommunikation entscheidet dann auch über den Erfolg ihrer Anwendung im Lieferantenmanagement.

Die Ausgangssituation des Lieferantenmanagements vor dem Hintergrund der Digitalisierung ist Folgende: Das gesamte Liefer- und Wertschöpfungsnetzwerk eines Unternehmens spielt für die Kostensenkung, das Innovations- und Risikomanagement eines Unternehmens eine herausragende Rolle. Vor diesem Hintergrund entfaltet die Digitalisierung mittelfristig eine große Wirkung auf das Management von Lieferketten.

Stand heute wird die Digitalisierung ihre Wirkung in folgenden Feldern auf die Lieferkette entfalten:

  • Sie wird die Integration der Lieferkette durch Systemunterstützung treiben und weiter automatisieren,
  • über Analyse und Leistungsmessung die Lieferkette weiter transparent und somit messbar machen
  • und vor allen Dingen ganze Lieferketten radikal umgestalten bzw. rekonfigurieren.

Hier einige Beispiele für die technologischen Komponenten, ihre Bedeutung und den konkreten Einsatz im Lieferantenmanagement.

  • Big Data und Analytics unterstützen das Risikomanagement und die Einhaltung von Compliance Anforderungen als Bedingung der geforderten Transparenz der Lieferkette. So werden in Echtzeit Lieferantenrisiken antizipiert und Lösungsoptionen angeboten. Dies gilt aber nicht nur für die großen Unternehmen, sondern auch für die mittelständischen Unternehmen kleiner und mittlerer Größe, die als Lieferanten ihrerseits den Großen helfen, diese Transparenz herzustellen, wie das heute z. B. bei den Anforderungen des Frank-Dodd-Acts der Fall ist.
  • Cloud Computing macht das Lieferantenmanagement völlig ortsunabhängig, indem eine nahtlose Integration und Automatisierung operativer Prozesse im Einkauf ermöglicht wird. Damit wird nicht nur eine schnelle und reibungslose Bewertung von Lieferanten realisiert, sondern es eröffnen sich ganz andere Möglichkeiten, Lieferanten in das eigene Unternehmen einzubinden.
  • Augmented Reality eröffnet nicht durch die Virtualisierung von Produktionsprozessen, sondern die Beobachtung von Produktionsprozessen eines Lieferanten oder auch die Unterstützung eines Lieferantenaudits ohne physische Präsenz eines Qualität-Managers.
  • Die Rolle von Plattformtechnologien als Nachfolgerin von Portallösungen hat heute schon einen bedeutenden Einfluss auf die Rolle des Einkäufers und Lieferantenmanagers. Nicht nur der Online-Einkauf nimmt immer weiter zu, sondern auch das Sourcing von Innovationen auf spezifischen Plattformen. Eine automatisierte oder computerunterstützte Lieferantenidentifizierung, Lieferantenauswahl und Leistungsbewertung der Lieferanten, die der Einkäufer als Plattformmanager zu realisieren hat, ist dabei eine zwingende Voraussetzung.
  • Ein gutes Beispiel für die Zukunft stellen schon heute Spieleplattformen wie zum Beispiel der Apple Store da, auf den jeden Tag mehr als 400 neue Spiele gestellt werden und dessen Erfolg automatisch über KPIs verfolgt bzw. gemessen wird.
  • Reife 3-D-Technologien werden eine Rückwärtsintegration von Produktionsschritten innerhalb der Wertschöpfungskette fördern und damit die Auflösung und Restrukturierung ganzer Lieferketten einleiten, in der Lieferanten ganz andere Aufgaben erhalten (z. B. den Verkauf von Lizenzen, die auf Basis von Bauanleitungen, das Unternehmen berechtigen, ein Bauteil anzufertigen), die entsprechend gemanagt, bewertet und auditiert werden müssen.

Der Hype Cycle als Ausgangspunkt

Die genannten Felder der Digitalisierung haben jetzt schon eine herausragende Bedeutung für das Lieferantenmanagement. Kurz- und mittelfristig stehen aber nur solche Technologien im Vordergrund, die gezeigt haben, dass sie produktiv sind. Eine Orientierungshilfe bei der Einschätzung solcher Technologien kann z. B. der Hype-Cycle von Gartner leisten.

Einen solcher Hype-Cycle sollte dann szenariobasiert für das eigene Unternehmen erstellt werden und hilft, die Bedeutung und Effektivität der Anwendung für den eigenen Bedarf einzuschätzen. Das Schnittstellenmanagement stellt dann in diesem Prozess wie immer die größte Herausforderung der nächsten Jahre dar, das ohne Kommunikation nicht funktionieren wird.

Es beginnt und endet mit dem Primat der Kommunikation

Auch die Kommunikation unterschiedlicher Teams gegenüber der Lieferkette, die sich mit dem Thema Digitalisierung auseinandersetzen, muss koordiniert werden. Hier verhalten sich oftmals die eigenen Fachabteilungen wie Teenager, die neue Gadgets für sich entdeckt haben und völlig unkoordiniert auf Kunden und Lieferanten losgehen. Schließlich sollte in Erfahrung gebrachte werden, wozu der Lieferant kurz- und mittelfristig überhaupt bereit ist, technologisch auf Augenhöhe mit dem eigenen Unternehmen zu operieren oder dieser, weil kleiner, innovativer und flexibler, selbst schon viel fortgeschrittener operiert.

Welche Prioritäten gilt es dann vor dem Hintergrund der Digitalisierung im Lieferantenmanagement zu setzen? Es gilt das Selbstverständnis des eigenen Lieferantenmanagements als eine der wichtigsten Schnittstellen zwischen Lieferantennetzwerk und internen Fachabteilungen eines Unternehmens auf den Prüfstand zu stellen.

Um überhaupt z. B. cloudbasierte Sensor-Aktor-Technologien, neue Simulations- und Vorhersagemodelle auf Basis von Heuristiken und Algorithmen einsetzen und nutzen zu können, muss man die Fähigkeiten und Potenziale des eigenen Lieferantenmanagements richtig einschätzen können. Wenn es noch keine richtige Lieferantenbewertung gibt, kein Prozess automatisiert oder computerunterstützt abläuft, dann muss das bei der Investition in neue Lieferantenmanagementsysteme berücksichtigt werden.

Ohne eine fachübergreifende Kommunikation, die die Möglichkeiten der Digitalisierung und der eigenen Reife analysiert, bleiben die ungeheuren Potenziale der digital unterstützten Wertschöpfung ungenutzt.

Um es vorab kurz zu machen: Es lohnt sich konservativ zu bleiben. Das heißt das Gute bewahren, darauf hinarbeiten oder es sogar ausbauen. Was ist das Gute? Das ist die Qualität der Kommunikation in der Lieferkette. Denn die eigentliche Stärke des Lieferantenmanagements sollte in der effizienten Kommunikation aus der Schnittstelle Einkauf in das Lieferantennetzwerk und in der fachübergreifende Kommunikation intern liegen. Das ist neben allen Systemen, Prozessen und Standards die wichtigste Voraussetzung und Bedingung für ein gelungenes Lieferantenmanagement Upgrade.

Oft hakt es aber schon bei einfachen internen Abstimmungen z. B. zwischen Einkauf und QM beim sogenannten Production Part Approval Process (PPAP). Dann wird die eigene Unzulänglichkeit der internen Kommunikation schon zum Risiko für das Unternehmen und somit für das Lieferantenmanagement an sich.

Gut läuft es dagegen, wenn Fachabteilungen wie R&D, Qualitätsmanagement, Logistik, Produktion oder Vertrieb vom Lieferantenmanagement abgeholt werden, um überhaupt unterschiedliche Lieferantendaten und Feedbacks zum Lieferanten fachübergreifend zu konsolidieren und im strategischen Lieferantenmanagement einsetzen zu können.

Das heißt, wir sprechen zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr nur von der Kommunikation des Einkaufs zum Lieferanten, sondern über Kommunikation über die gesamte Lieferkette hinweg, gesteuert oder koordiniert vom Einkäufer.

Diese Verlagerung in die Lieferkette ist ein Prozess, der durch das zunehmende Risiko- und Compliance-Management bei der Lieferantensteuerung in den letzten Jahren noch zugenommen hat, zumindest bei den Unternehmen, die kontinuierlich daran arbeiten oder vor dem Hintergrund zahlreicher Regulierungen arbeiten müssen, ihre Lieferkette zu optimieren und transparent zu machen.

Egal nun, ob der Einkauf kooperativ oder fordernd gegenüber dem Lieferanten auftritt, das Innovationsnetzwerk aus- und aufbauen, Kosten einsparen oder Risiken besser steuern will. Eine erfolgreiche Kommunikation schafft dabei die nötige Transparenz in der Lieferkette, um überhaupt diese Ziele realisieren zu können. Eine einfache Frage hilft, die Reife der eigenen Kommunikation zu erschließen:

„Wer kommuniziert, wann, was und wie häufig an wen? Machen wir das effizient und unterstützen wir damit auch unser Geschäftsmodell?“

Wer eine Lieferantenbasis von z. B. 4000 Lieferanten steuert, für den ist dies keine triviale Frage. Auch wenn am Ende „nur“ mit fünf Prozent der strategischen Lieferanten – hier wären es dann 200 Lieferanten – aktiv und kontinuierlich gearbeitet wird, kann dies eine große Aufgaben bedeuten.

Vollautomatisiertes Onboarding

Das Onboarding der Lieferanten läuft heute schon weitgehend automatisch ab. Allerdings ließe sich mithilfe sozialer Medien, Informationsbrokern und anderen Content Diensten schon im Voraus Lieferantenprofile realisieren, die helfen, den ersten Eindruck deutlich mit mehr Informationen zu füttern und somit auch eine erste Vorauswahl zu unterstützen. Eine solche Bewertung und Profilierung eines Lieferanten kann einer vollautomatisierten Selbstbewertung des Lieferanten gegenübergestellt werden.

Schnittstellenkommunikation als Grundlage für den strategischen Einkauf

Im Einkauf selbst hilft als Orientierung die Warengruppenstrategie, eine Antwort auf diese Frage zu geben und die Kommunikation intern und extern optimal und fachübergreifend zu steuern. Hier darf dann aber auch gefragt werden, ob dazu in Einzelgesprächen oder in fachübergreifenden Teams intern oder extern die richtigen Kommunikationsformate gewählt werden oder ob man in zahllosen, ausufernden und somit teilweise ineffizienten Meetings Zeit und Ressourcen verbrennt?

Sprechen wir jetzt über die Technologie. Sogenannte digitale Technologien. Die neue Generation dieser Technologien soll sich dadurch auszeichnen, dass sie helfen, eine effiziente Kommunikationsstrukturen (Wer muss, wann, mit wem, worüber sprechen?) zu gewährleisten. Muss sich die Kommunikation vornehmlich an dem System orientieren, dann bewegen wir uns wieder in der alten Welt. Daran sollte man jede neue Technologie, die vorgibt effektiv und effizient zu sein, messen. Diese Frage lässt sich dann auf die einzelnen Prozessschritte und Bausteine des Lieferantenmanagements beziehen.

Bezüglich der Lieferantenstrategie ließe sich demnach fragen, inwiefern Lieferanten, aber auch das eigene Unternehmen, die nötige Reife mitbringen, neue digitale Technologien für beide Seiten gewinnbringend einzusetzen, um z. B. die Integration intern und extern der Lieferkette zu optimieren.

Schon hier gilt, dass der Traum einer voll integrierten, gesamtheitlichen und nahtlosen Lieferkette noch lange ein Traum bleiben wird, der kurz- und mittelfristig an hohen Investitionen scheitern kann. Hier wird an vielen Stellen schon stark investiert, aber die Fortschritte bleiben eben inkremental. Die Kommunikation der Mitarbeiter an den richtigen Schnittstellen wird noch lange Zeit reibungslose Abläufe der Lieferkette, ausgehend vom Lieferanten, gewährleisten bzw. den Schmierstoff für die Lieferkette repräsentieren.

Ohne Algorithmen in der Lieferantenbewertung hilft ein einfaches Restroom Management

Das lässt sich dann natürlich auf die Lieferantenbewertung schon vorhandener Lieferanten übertragen. Aber auch hier sei davor gewarnt, es ließen sich alle weltweit zur Verfügung stehenden Informationen über einen Lieferanten auf Knopfdruck sofort zusammenfassen und analysiert aufzeigen. Insbesondere nicht börsengelistete Lieferanten zeigen oft eine Intransparenz auf, die häufig nur dadurch erhellt werden kann, indem der Lieferantenmanager nicht nur mit dem Lieferanten selbst, sondern auch mit den unterschiedlichen Fachabteilungen des eigenen Unternehmens spricht (Kommunikation!), um ein klareres Bild von dem Lieferanten zeichnen zu können. Oder es wird eben in sozialen Medien nach Indikationen gesucht, die einen Hinweis auf Risiken wie z. B. hohe Mitarbeiterfluktuation (schlechte Bewertung bei XING) oder Nachhaltigkeitsprobleme (negative Erwähnung in Artikeln oder Blogs) geben.

Hier macht es dann auch schon Sinn vor dem Hintergrund adäquater Analysetechnologien zu fragen, welche Daten überhaupt gesammelt werden sollen und können. Was sich heute schon bewerkstelligen lässt, ist die individuelle und spezifisch abgestimmte Bewertung von Lieferantendaten sowie vorab individuell definierte Reaktionen (Alerts) auf bestimmte Ereignisse aufmerksam machen, die das Risiko in der Lieferkette erhöhen. Diese Indikatoren können sowohl Algorithmusbasiert Risiken einzelner Lieferanten anzeigen, als auch Alarm schlagen, wenn bestimmte Ereignisse eine Gefahr für eine spezifische Warengruppe darstellen. Hier können dann fachübergreifende Teams schnell reagieren und Maßnahmen ergreifen.

Was aber, wenn eine Lieferantenbewertung heute noch gar nicht existiert. Hier gibt es in Anlehnung an das „Restroom Management“, das früher schon analog, sehr einfach mithilfe kleiner an den Wänden befestigten Tafeln bzw. Checklisten, z. B. WC-Anlagen in der Gastronomie, in Ordnung gehalten hat, einfache Lösungen. Dieses Beispiel vor Augen können heute per App Lieferanten auf eine einfache Art regelmäßig bewertet werden. Solch ein „Restroom Management“ arbeitet nicht nur mit einfachen Lösungen, sondern stellt gegenüber hoch technisierten Systemen, die nicht immer sofort einsetzbar sind, eine sehr schnelle und flexible Lösung dar. Alles besser als überhaupt nicht aktiv zu werden.

Lieferantenentwicklung stärkt den Innovationsmotor

Auf einer erweiterten Datenbasis, die idealerweise vom Lieferanten in Echtzeit aktualisiert wird, können negative Entwicklungen in der Lieferantenperformance aufgezeigt werden und der Lieferant kann gemeinsam mit dem Unternehmen entwickelt werden.

Wichtig dabei ist, dass auch Lieferanten entwickelt werden, die die neuen Technologien selber einsetzen. Hier stehen mittlerweile kleine, flexible und innovative Lieferanten zur Verfügung, mit denen das eigene Unternehmen deutlich schneller und bessere Fortschritte machen kann als mit größeren Partnern, die den Sinn und Zweck des Ganzen noch nicht verstanden haben. Solche kleineren Partner können die Innovationsmotoren von morgen sein.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Priorität hat Kommunikation und das wird so bleiben; und zwar die richtige, fachübergreifend gebündelte Kommunikation zum Lieferanten, über die gesamte Lieferkette hinweg. Der Reifegrad der Kommunikation im Lieferantenmanagement bestimmt den Einsatz digitaler Technologien, die alle Phasen des Lieferantenmanagements unterstützen. Die eingesetzte Systemunterstützung oder Technologie muss in der Lage sein, ohne große Investitionen, kurzfristig das Lieferantenmanagement soweit wie möglich zu unterstützen, die Lieferkette transparent zu machen. Digitalisierung kann langfristig das ein oder andere Wunder vollbringen, kurz- und mittelfristig muss der Einkauf aber seine Kommunikationsstrukturen und damit auch Prozesse so optimieren, dass er jetzt schon Ergebnisse sieht, auf denen er dann aufbauen kann. Solche Ergebnisse drücken sich in einer besseren Risikosteuerung, mehr Einsparungen, schnelleren Durchlaufzeiten oder durch eine von Lieferanten stärker induzierte Innovation aus.

Der Artikel ist ursprünglich in ähnlicher Form hier erschienen.