Im Dezember 2018 ist der Band „Schöpferische Zerstörung und der Wandel des Unternehmertums. Zur Aktualität von Joseph A. Schumpeter“ erschienen, den Professor em. Dr. Pfriem zusammen mit drei weiteren Autoren herausgebracht hat. Alex & Verne hat mit Herrn Professor Pfriem ein Interview geführt, warum Schumpeter und sein Begriff der schöpferischen Zerstörung im Zeitalter der Digitalisierung immer noch so inspirierend sind.

Sind Elon Musk, Jeff Bezos & Co. schöpferische Zerstörer?
Jein. Schumpeter entwickelte diesen Begriff erst 1942 mit seinem Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“. Doch die revolutionäre Rolle des kapitalistischen Unternehmertums hat er schon viel früher erkannt. In Schumpeters Lesart ist die „schöpferische Zerstörung“ durchaus brisant: Kreativität ist ja nicht generell positiv – sie kann auch für schreckliche Zwecke eingesetzt werden. Und mit dem Attribut „schöpferisch“ verhält es sich genauso: auch das ist von weiteren Bewertungen abhängig.
So ist für mich die Atomenergie keine schöpferische, sondern eine zerstörerische Zerstörung. Für Phantasien der Marsbesiedlung oder luxuriöse Fortführung der individualisierten Mobilität (Elon Musk) gilt dasselbe. Und natürlich auch für die Verödung der Innenstädte und die gravierenden ökologischen Schäden, die jüngst mit der Expansion von Online-Handel (Jeff Bezos) verursacht werden. Umgekehrt haben wir heute zu viel zerstörerische Bewahrung (Kohle/ gar Braunkohle, Verbrennungsmotor und individualisierte Mobilität überhaupt), der gegenüber zukunftsfähige schöpferische Zerstörung längst überfällig ist.
Warum ist Schumpeter heute noch aktuell?
- Eben deshalb: weil er mit dem Begriff der schöpferischen Zerstörung einen kritisch-normativen Zugang zu dem, was unter Wirtschaften zu verstehen ist, nahe gelegt hat – ohne das allerdings selber noch auszureizen.
- Weil er im Gegensatz zu den meisten Ökonomen des 20. Jahrhunderts die revolutionäre Rolle des kapitalistischen Unternehmertums klar erkannt hat und damit Grundlagen geschaffen, ökonomische Veränderungen als Veränderungen von Unternehmenslandschaften zu verstehen.
- Weil er – ausdrücklich nicht als Anhänger sozialistischer oder kommunistischer Ideen seiner Zeit – intellektuell redlich genug war, sich mit den Grenzen des Kapitalismus auseinanderzusetzen und die Erosion des Unternehmertums in der Konsequenz auch gesellschaftstheoretisch zu beleuchten.
Was kann ein Startup heute noch von Schumpeter lernen?
Dass authentisches Unternehmertum Zukunftsaussichten hat. In Abweichung von seiner manchmal mystifizierenden Beschreibung des individuellen und für seine Zeit schon nicht mehr wirklich modern nur männlich gedachten Unternehmers hat Schumpeter an einigen Stellen sogar schon die Möglichkeit kollaborativen Unternehmertums ins Auge gefasst. Demgegenüber sollte freilich betont werden, dass die zunehmende Zahl von gleich auf Exit-Optionen gerichteten Start-ups mit Schumpeters Vorstellungen zum Unternehmertum rein gar nichts zu tun hat.
Können wir heute noch Schumpeters Aussagen auf gesellschaftliche Herausforderungen oder Fragestellungen in Anschlag bringen?
Auch zeitbedingt (so stand etwa trotz massiver Umweltzerstörungen die ökologische Frage noch nicht auf der öffentlichen Agenda) hat sich Schumpeter noch nicht in der Weise mit gesellschaftlichen Herausforderungen auseinandergesetzt, wie das heute erforderlich ist und auch geschieht. Angefangen beim offenen Blick auf die Veränderungen und Grenzen der kapitalistischen Entwicklung ist Schumpeters sozialökonomisches Selbstverständnis im Gegensatz zu demjenigen der auch heute immer noch wirtschaftswissenschaftlich mehrheitlichen Modellplatoniker in dieser Hinsicht allerdings hilfreich. Schumpeter hat auch zu seiner Zeit schon gesehen, dass unternehmerischer Erfolg und gesellschaftliches Wohlergehen auseinander treten können.
Warum sprechen wir heute lieber von Disruption oder disruptiven Innovation? Ist die Metapher der schöpferischen Zerstörung nicht eine nachhaltigere und weiter reichende Beschreibung der Effekte des modernen Unternehmertums?
Ich gehöre zu denen, die überhaupt nicht „heute lieber von Disruption oder disruptiver Innovation“ sprechen. Wie vieles andere auch (4.0 etc.) ist das eher rhetorisches Geschwätz, um den Eindruck von Modernisierung am laufen zu halten. Der Inhalt ist nämlich derselbe wie der von Schumpeter 1942, und der Begriff der schöpferischen zerstörung ist (s. o.) viel besser geeignet, solche ökonomischen Veränderungen auch gesellschaftspolitisch und –theoretisch analysieren zu können.
Welche Fragen des Unternehmertums oder der wirtschaftlichen Entwicklung würden Schumpeter heute besonders interessieren oder hervorheben?
Solche Spekulationen sind immer schwierig. Ein Schumpeter des 21. Jahrhunderts (so ist zumindest zu hoffen) wäre vielleicht in der Lage, anders als der 1950 gestorbene die zeitgenössischen Herausforderungen des Unternehmertums inhaltlich-konkret zu analysieren und noch größere sozialökonomische, gesellschaftswissenschaftliche und letztlich auch normative Konsequenzen aus den eigenen Überlegungen zu ziehen.

Was ist der Anlass für die Herausgabe des Buches gewesen?
Anlass im auslösenden Sinne war, dass ich als Lehrbeauftragter (mit dem Hintergrund, herkünftiger Wuppertaler zu sein und 1983 am damaligen Fachbereich Wirtschaftswissenschaft von Westberlin aus extern promoviert zu haben) zusammen mit zwei der anderen Herausgeber (Hans Frambach und Norbert Koubek) im Wintersemester 2017/18 an der heutigen Schumpeter School of Business and Economics ein Schumpeter-Seminar durchgeführt habe – mit außerordentlich betrüblicher studentischer Resonanz. In diesem Rahmen gab es einen Workshop, bei dem auch Heinz D. Kurz als auch international sehr anerkannter Schumpeter-Forscher vortrug. Mir und uns wurde in diesem Zusammenhang Schumpeters Aktualität wieder richtig bewusst. Und in direktem zeitlichen Zusammenhang mit dem 10-jährigen Bestehen der Schumpeter School an der Bergischen Universität Wuppertal darf das Buch, an dem über die Herausgeber und den Rektor mit Geleitwort hinaus weitere Autor/innen der Fakultät beteiligt sind, auch als Bemühen verstanden werden, den Geist Schumpeters hier in Lehre und Forschung noch mehr zum Leben zu bringen.
Professor em. Dr. Pfriem war bis 2017 Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Unternehmensführung und Betriebliche Unternehmenspolitik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.